Seelenvasen |
Bestand Julius Kien
Autorin:
Bettina Zorn
Bettina Zorn
Das hier vorgestellte Beispiel der Provenienzforschung zu NS-Raubgut und seiner Restitutionsgeschichte anhand der beiden chinesischen Seelenvasen hunping 魂瓶 der Südlichen Song-Dynastie (1127–1279) basiert auf der Recherche meiner ehemaligen Kollegin Ildikó Cazan-Simányi, die von 1995 bis April 2022 das Archiv des Weltmuseums Wien (bis 2013 Museum für Völkerkunde) leitete und seit 1998 Mitglied der Kommission für Provenienzforschung war.
Das Paar Seelenvasen, in einem späteren Eintrag bzw. einer Nachinventarisierung im Museumsinventar aus den 1960er Jahren als Apostelvasen bezeichnet, befand sich bis 1938 im Besitz von Julius Kien (1868–1949), dem Inhaber der Handelsagentur Julius Kien & Co. mit Sitz am heutigen Rooseveltplatz 10 im neunten Wiener Gemeindebezirk. Diese Adresse hatte in den zehn Jahren von 1930 bis 1940 folgende Namen: Maximilianplatz, Freiheitsplatz, Dollfußplatz und Hermann-Göring-Platz.
Julius Kien wurde 1868 als drittes Kind von Josef und Minna Kien in einer südböhmischen Kleinstadt geboren. Wahrscheinlich übersiedelte die achtköpfige Familie Ende des 19. Jahrhunderts nach Wien.
Es ist belegt, dass der Vater, Bauunternehmer Josef Kien, 1902 hier verstarb. Die Familie Kien nahm regen Anteil am öffentlichen, kulturellen und sozialen Leben in Wien. So waren Julius Kien und seine Tochter, die promovierte Kunsthistorikerin Dr. Hedwig Spiegel, Mitglieder des „Vereins der Freunde asiatischer Kunst und Kultur in Wien“. Der Verein war 1925 gegründet worden.
Mit der Machtergreifung des NS-Regimes im März 1938 in Österreich wurde die Situation für die Familie Kien lebensbedrohlich. Bereits im Juli 1938 musste auch Julius Kien bei der Vermögensverkehrsstelle Wien seine Vermögenswerte im „Verzeichnis über das Vermögen von Juden nach dem Stand vom 27. April 1938“ bekanntgeben. Angeführt sind neben land- und forstwirtschaftlichem Vermögen und Immobilien auch Kunstgegenstände. Einige Monate später wurde die Handelsagentur Julius Kien & Co stillgelegt. Unter den Kunstgegenständen befanden sich Gemälde im Stil der Alten Meister, moderne Werke von Klimt und Schiele, Teppiche, eine Netsuke-Sammlung bzw. Chinoiserien, eventuell als Teil einer nicht näher beschriebenen ethnographischen Sammlung.
Bereits bis Jahresende erfolgte ein Teilverkauf der im Sommer gemeldeten Vermögenswerte. Ihrem feinen Gespür für das politische Geschehen folgend, gelang es der Familie Kien, ihre erzwungene Emigration rechtzeitig vorzubereiten. Bis zum Jahresende 1938 hatten die Kinder von Julius und Adele Kien, Hedwig Spiegel und Josef Friedrich (Fritz?) Kien, letzterer mit seiner Frau bzw. Familie, Österreich verlassen.
Nach Verkauf aller Vermögenswerte, die zur Zahlung von „Reichsfluchtsteuer“ und „Judenvermögensabgabe“ genutzt wurden, emigrierten Julius und Adele Kien Ende März 1939 über die Schweiz und London nach Australien.
Am 10. März 1939 richtete der damalige Direktor des Museums für Völkerkunde (1928–1945), Dr. Friedrich Röck, ein Schreiben an das Ministerium für innere und kulturelle Angelegenheiten und informierte es darüber, „dass sich in der ethnographischen Sammlung des Emigranten Julius Kien, Herman Göringplatz 10,II/T.12, auch drei Stücke chinesischer Altertümer befinden, welche von dem sachverständigen Kunsthändler Anton Exner als überaus seltene Museumsstücke bezeichnet und für die Ausfuhr gesperrt worden sind. Außerdem teilte die Zentralstelle für Denkmalschutz dem Gefertigten mit, dass die genannten drei Objekte („2 Begräbnisvasen aus der Sung-Zeit und 1 Blumen-Hängetopf aus der Ming-Zeit, China“) vom bisherigen Besitzer dem Museum für Völkerkunde kostenlos über lassen würden.“
Einen Tag später stellte der Direktor des Museums für Völkerkunde Herrn Julius Kien bereits eine Spendenbestätigung über die drei empfangenen Objekte, „ein Paar weiße Sung Begräbnis-Vasen, China, und einen Blumen-Hängetopfaus der Ming-Zeit, China“, aus.
Interessant ist dabei, dass Röck in seinem Schreiben vom 10. März 1939 an das Ministerium explizit nachfragte, „ob der seinerzeitige vertrauliche Erlass des Herrn Reichsministers des Inneren Z: VI c 3193/38, 7005 Allg., III, des Inhaltes, dass Schenkungen von Juden nicht angenommen werden dürfen, heute noch Giltigkeit [sic] besitzt oder nicht.“
In vorauseilendem Gehorsam oder weil er das Ministerium für innere und kulturelle Angelegenheiten auf einen „Fehler“ aufmerksam gemacht hatte, belegt ein Schreiben Röcks an die Leitung der Vermögensverkehrsstelle am 18. März 1939 die Bitte um eine „Aufforderung des Ministerium für innere und kulturelle Angelegenheiten um Erteilung der formellen Zustimmung der Vermögensverkehrsstelle zum freihändigen Ankauf von drei seltenen chinesischen Altertümern aus dem Besitz von Julius Kien, Wien, 1., Hermann Göringplatz 10 […]“ zu einem Gesamtpreis von 700 Reichsmark. Um sich also ‚korrekt‘ zu verhalten, erwarb das Museum für Völkerkunde die Gegenstände um 700 Reichsmark, anstatt sie als Spende anzunehmen, denn laut eines Erlasses des Reichsministers des Inneren war es nicht erlaubt, Schenkungen von Jüdinnen und Juden anzunehmen.
Es war u.a. der Brief Röcks vom 10. März 1939, der am 14. März 2001 den Kunstrückgabebeirat zur Empfehlung der Rückgabe der drei Objekte aus der Sammlung Julius Kien des Museums für Völkerkunde bewog. In einer Stellungnahme des damaligen Sektionschefs Dr. R. Wran heißt es: „Bei den chinesischen Kunstgegenständen habe der damalige Direktor des Völkerkundemuseums zuerst eine Ausfuhrsperre über die Vasen verhängt, dann wurden sie vom Museum gekauft – ‚ein Kauf unter dem Druck der Verhältnisse und darum ein nichtiges Geschäft‘.“
Der Sammlerakt Julius Kien im Museum vermerkt, dass (anscheinend) die Objekte „[b]ei jüd[ischem] Vermögen angemeldet! Herbst 1946!“ gewesen seien, jedoch geschah nichts.
Besondere Erwähnung soll hier der Umstand finden, dass die beiden Kinder, Dr. Hedwig Spiegel und Friedrich Kien, 1970 einen Antrag einbrachten, nachdem am 27. Juni 1969 ein Bundesgesetz zur Bereinigung der Eigentumsverhältnisse des im Gewahrsam des Bundesdenkmalamtes befindlichen Kunst- und Kulturgutes (BGBI. Nr. 294) beschlossen worden war. Sie richteten diesen an die Finanzdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland (Vermögenssicherungs- und Rückstellungsangelegenheiten), die aber abschlägig antwortete. Hedwig Spiegel starb 1985 und Friedrich Kien 1998.
Auf Grund des Kunstrückgabegesetzes vom 4. Dezember 1998 (BGBI. I 181) wurde der damalige Sammlerakt gesichtet, ein Dossier erstellt, eine Empfehlung zur Rückgabe ausgesprochen und daraufhin die rechtmäßigen Erb*innen gesucht. Die Enkelin von Julius Kien konnte in Tel Aviv gefunden und kontaktiert werden. Die drei Objekte aus der Sammlung wurden an sie und andere Nachfahr*innen restituiert. Das Museum einigte sich mit ihnen auf einen Ankauf, dessen Erlös an die internationale Holocaustgedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem gespendet wurde.
Zum Schluss ein paar Worte zu den Seelenvasen aus Südchina des 12. bzw. 13. Jahrhunderts. Es handelt sich bei dem Vasenpaar um Grabbeigaben, die, gefüllt mit Nahrungsmitteln, den Toten dienen sollten. Beide Vasen sollten einen mit je einem fliegenden Vogel verzierten Deckel aufweisen, wobei hier allerdings beide fehlen. Die schlanken, hohen Vasen mit Qingbai-Glasur sind appliziert. Eine Vase zeigt einen Drachen, der die Himmelsrichtung Osten repräsentiert, während die zweite Vase mit einem Tiger appliziert ist, der für die Richtung Westen steht. Darunter befinden sich 13 aus Modeln gepresste Figuren. Diese Figuren mögen wohl zu dem irritierenden Namen „Apostelvase“ geführt haben.
Das Vasenpaar und der Blumenübertopf des Sammlers Julius Kien sind auf Grund ihrer Bedeutung als Zeugnisse früher chinesischer Kunstsammlungen in Österreich noch genauer zu erforschen.
Bettina Zorn, Kuratorin Sammlung Ostasien: China, Korea, Japan
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Das Paar Seelenvasen, in einem späteren Eintrag bzw. einer Nachinventarisierung im Museumsinventar aus den 1960er Jahren als Apostelvasen bezeichnet, befand sich bis 1938 im Besitz von Julius Kien (1868–1949), dem Inhaber der Handelsagentur Julius Kien & Co. mit Sitz am heutigen Rooseveltplatz 10 im neunten Wiener Gemeindebezirk. Diese Adresse hatte in den zehn Jahren von 1930 bis 1940 folgende Namen: Maximilianplatz, Freiheitsplatz, Dollfußplatz und Hermann-Göring-Platz.
Julius Kien wurde 1868 als drittes Kind von Josef und Minna Kien in einer südböhmischen Kleinstadt geboren. Wahrscheinlich übersiedelte die achtköpfige Familie Ende des 19. Jahrhunderts nach Wien.
Es ist belegt, dass der Vater, Bauunternehmer Josef Kien, 1902 hier verstarb. Die Familie Kien nahm regen Anteil am öffentlichen, kulturellen und sozialen Leben in Wien. So waren Julius Kien und seine Tochter, die promovierte Kunsthistorikerin Dr. Hedwig Spiegel, Mitglieder des „Vereins der Freunde asiatischer Kunst und Kultur in Wien“. Der Verein war 1925 gegründet worden.
Mit der Machtergreifung des NS-Regimes im März 1938 in Österreich wurde die Situation für die Familie Kien lebensbedrohlich. Bereits im Juli 1938 musste auch Julius Kien bei der Vermögensverkehrsstelle Wien seine Vermögenswerte im „Verzeichnis über das Vermögen von Juden nach dem Stand vom 27. April 1938“ bekanntgeben. Angeführt sind neben land- und forstwirtschaftlichem Vermögen und Immobilien auch Kunstgegenstände. Einige Monate später wurde die Handelsagentur Julius Kien & Co stillgelegt. Unter den Kunstgegenständen befanden sich Gemälde im Stil der Alten Meister, moderne Werke von Klimt und Schiele, Teppiche, eine Netsuke-Sammlung bzw. Chinoiserien, eventuell als Teil einer nicht näher beschriebenen ethnographischen Sammlung.
Bereits bis Jahresende erfolgte ein Teilverkauf der im Sommer gemeldeten Vermögenswerte. Ihrem feinen Gespür für das politische Geschehen folgend, gelang es der Familie Kien, ihre erzwungene Emigration rechtzeitig vorzubereiten. Bis zum Jahresende 1938 hatten die Kinder von Julius und Adele Kien, Hedwig Spiegel und Josef Friedrich (Fritz?) Kien, letzterer mit seiner Frau bzw. Familie, Österreich verlassen.
Nach Verkauf aller Vermögenswerte, die zur Zahlung von „Reichsfluchtsteuer“ und „Judenvermögensabgabe“ genutzt wurden, emigrierten Julius und Adele Kien Ende März 1939 über die Schweiz und London nach Australien.
Am 10. März 1939 richtete der damalige Direktor des Museums für Völkerkunde (1928–1945), Dr. Friedrich Röck, ein Schreiben an das Ministerium für innere und kulturelle Angelegenheiten und informierte es darüber, „dass sich in der ethnographischen Sammlung des Emigranten Julius Kien, Herman Göringplatz 10,II/T.12, auch drei Stücke chinesischer Altertümer befinden, welche von dem sachverständigen Kunsthändler Anton Exner als überaus seltene Museumsstücke bezeichnet und für die Ausfuhr gesperrt worden sind. Außerdem teilte die Zentralstelle für Denkmalschutz dem Gefertigten mit, dass die genannten drei Objekte („2 Begräbnisvasen aus der Sung-Zeit und 1 Blumen-Hängetopf aus der Ming-Zeit, China“) vom bisherigen Besitzer dem Museum für Völkerkunde kostenlos über lassen würden.“
Einen Tag später stellte der Direktor des Museums für Völkerkunde Herrn Julius Kien bereits eine Spendenbestätigung über die drei empfangenen Objekte, „ein Paar weiße Sung Begräbnis-Vasen, China, und einen Blumen-Hängetopfaus der Ming-Zeit, China“, aus.
Interessant ist dabei, dass Röck in seinem Schreiben vom 10. März 1939 an das Ministerium explizit nachfragte, „ob der seinerzeitige vertrauliche Erlass des Herrn Reichsministers des Inneren Z: VI c 3193/38, 7005 Allg., III, des Inhaltes, dass Schenkungen von Juden nicht angenommen werden dürfen, heute noch Giltigkeit [sic] besitzt oder nicht.“
In vorauseilendem Gehorsam oder weil er das Ministerium für innere und kulturelle Angelegenheiten auf einen „Fehler“ aufmerksam gemacht hatte, belegt ein Schreiben Röcks an die Leitung der Vermögensverkehrsstelle am 18. März 1939 die Bitte um eine „Aufforderung des Ministerium für innere und kulturelle Angelegenheiten um Erteilung der formellen Zustimmung der Vermögensverkehrsstelle zum freihändigen Ankauf von drei seltenen chinesischen Altertümern aus dem Besitz von Julius Kien, Wien, 1., Hermann Göringplatz 10 […]“ zu einem Gesamtpreis von 700 Reichsmark. Um sich also ‚korrekt‘ zu verhalten, erwarb das Museum für Völkerkunde die Gegenstände um 700 Reichsmark, anstatt sie als Spende anzunehmen, denn laut eines Erlasses des Reichsministers des Inneren war es nicht erlaubt, Schenkungen von Jüdinnen und Juden anzunehmen.
Es war u.a. der Brief Röcks vom 10. März 1939, der am 14. März 2001 den Kunstrückgabebeirat zur Empfehlung der Rückgabe der drei Objekte aus der Sammlung Julius Kien des Museums für Völkerkunde bewog. In einer Stellungnahme des damaligen Sektionschefs Dr. R. Wran heißt es: „Bei den chinesischen Kunstgegenständen habe der damalige Direktor des Völkerkundemuseums zuerst eine Ausfuhrsperre über die Vasen verhängt, dann wurden sie vom Museum gekauft – ‚ein Kauf unter dem Druck der Verhältnisse und darum ein nichtiges Geschäft‘.“
Der Sammlerakt Julius Kien im Museum vermerkt, dass (anscheinend) die Objekte „[b]ei jüd[ischem] Vermögen angemeldet! Herbst 1946!“ gewesen seien, jedoch geschah nichts.
Besondere Erwähnung soll hier der Umstand finden, dass die beiden Kinder, Dr. Hedwig Spiegel und Friedrich Kien, 1970 einen Antrag einbrachten, nachdem am 27. Juni 1969 ein Bundesgesetz zur Bereinigung der Eigentumsverhältnisse des im Gewahrsam des Bundesdenkmalamtes befindlichen Kunst- und Kulturgutes (BGBI. Nr. 294) beschlossen worden war. Sie richteten diesen an die Finanzdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland (Vermögenssicherungs- und Rückstellungsangelegenheiten), die aber abschlägig antwortete. Hedwig Spiegel starb 1985 und Friedrich Kien 1998.
Auf Grund des Kunstrückgabegesetzes vom 4. Dezember 1998 (BGBI. I 181) wurde der damalige Sammlerakt gesichtet, ein Dossier erstellt, eine Empfehlung zur Rückgabe ausgesprochen und daraufhin die rechtmäßigen Erb*innen gesucht. Die Enkelin von Julius Kien konnte in Tel Aviv gefunden und kontaktiert werden. Die drei Objekte aus der Sammlung wurden an sie und andere Nachfahr*innen restituiert. Das Museum einigte sich mit ihnen auf einen Ankauf, dessen Erlös an die internationale Holocaustgedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem gespendet wurde.
Zum Schluss ein paar Worte zu den Seelenvasen aus Südchina des 12. bzw. 13. Jahrhunderts. Es handelt sich bei dem Vasenpaar um Grabbeigaben, die, gefüllt mit Nahrungsmitteln, den Toten dienen sollten. Beide Vasen sollten einen mit je einem fliegenden Vogel verzierten Deckel aufweisen, wobei hier allerdings beide fehlen. Die schlanken, hohen Vasen mit Qingbai-Glasur sind appliziert. Eine Vase zeigt einen Drachen, der die Himmelsrichtung Osten repräsentiert, während die zweite Vase mit einem Tiger appliziert ist, der für die Richtung Westen steht. Darunter befinden sich 13 aus Modeln gepresste Figuren. Diese Figuren mögen wohl zu dem irritierenden Namen „Apostelvase“ geführt haben.
Das Vasenpaar und der Blumenübertopf des Sammlers Julius Kien sind auf Grund ihrer Bedeutung als Zeugnisse früher chinesischer Kunstsammlungen in Österreich noch genauer zu erforschen.
Bettina Zorn, Kuratorin Sammlung Ostasien: China, Korea, Japan
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