Kunsthistorisches Museum Wien

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Hammerflügel |
Objekt von Frida Gerngross
alias Maria Gardi

Autorin:
Monika Löscher
Zur Biographie von Maria Gardi / Frida Gerngross

Frida Gerngross wurde am 19. Juli 1885 in Wien als Frida Maria von Beck geboren.12 Ihre Geburt ist im Geburtsprotokoll der Israelitischen Kultusgemeinde Wien eingetragen.13 Ihr Vater, Hermann Beck (1845–1913), stammte aus Sobotište in der Slowakei und hatte es zu bedeutendem Wohlstand gebracht: In seiner Todesanzeige wird er als Seniorchef von Wilhelm Beck & Söhne geführt, einer großen Uniformfabrik der Monarchie. Die Firma war von seinem Vater gegründet worden, der zum k. k. Hoflieferanten ernannt wurde.14 Das Geschäft befand sich im Palais Equitable auf dem Stock-im-Eisen-Platz, an einer exquisiten Adresse.
Frida Maria von Beck war in erster Ehe mit dem 1878 in Wien geborenen Julius Ripper (1878–1916) verheiratet, Inhaber einer Firma, die mit Ölen und Essenzen handelte. Die Trauung fand im Juni 1906 nach jüdischem Ritus statt, 15 am 31. Jänner 1908 kam Tochter Edith zur Welt.16 Die Familie lebte in der Wiesingerstraße im ersten Wiener Gemeindebezirk.17 Nach wenigen Jahren wurde Frida Maria Ripper Witwe: Der k. k. Oberleutnant starb am 16. Dezember 1916 an den Folgen einer Kriegsverletzung.18 Einige Monate später – Anfang Februar 1918 – heiratete sie Robert Gerngross. Gemeldet war das Paar in der Reichsratsstraße 17/2/5 im ersten Wiener Gemeindebezirk.19 Die gemeinsame Tochter Marie wurde am 31. Oktober 1918 geboren und am 23. Oktober 1925 evangelisch H. B. getauft.20 Als „herziges Töchterchen Mariechen Gerngroß“ fand sie schon in frühen Jahren Erwähnung im Wiener Salonblatt. 21

Das Leben der Familie Gerngross entsprach den großbürgerlichen Vorstellungen: Man gab Empfänge in der Wiener Wohnung.22 Die Sommerfrische verbrachte man in Bad Ischl, am Semmering oder in Karlovy Vary / Karlsbad, wo man stets in den ersten Häusern abstieg.23 1932 wurde Robert Gerngross das Große Ehrenzeichen der Republik Österreich verliehen, sein Bruder Paul wurde mit dem Offizierszeichen vom Roten Kreuz ausgezeichnet.24
1926 antwortete Robert Gerngross in einem Interview in der Zeitschrift Bühne auf die Frage „Gefällt es Ihnen noch in Wien“ mit:
„Wien aber ist, und das weiß jedes Kind, noch immer die schönste Stadt und daran können die tristen Verhältnisse nichts ändern. […] Ich bin zuversichtlich: es werden gesunde Verhältnisse kommen und mit ihr wieder die Sorglosigkeit und Gemütlichkeit.“25
Er hätte nicht falscher liegen können. Zwölf Jahre später wurde Robert Gerngross’ Zuversicht jäh zunichtegemacht. Obwohl Robert und Frida bereits 1924 aus der Kultusgemeinde ausgetreten waren, galten sie, wie alle übrigen Familienmitglieder, in der NS-Jurisdiktion als jüdisch.26 Robert wurde unmittelbar nach dem „Anschluss“ in „Schutzhaft“27 genommen. Die Familie verlor ihre Wohnung in dem Frida Gerngross gehörenden Mietshaus in der Reichsratsstraße 17, kam aber zunächst im selben Haus im Mezzanin unter. Das Ehepaar Gerngross konnte dann noch fast zwei Jahre lang in der Wohnung bleiben. Anfang April 1942 mussten sie dann einen Häuserblock weiter in eine Sammelwohnung in der Lichtenfelsgasse 5 ziehen, von wo sie nach nur wenigen Tagen nach Izbica deportiert wurden.
Das Ehepaar Gerngross kam nicht zurück: Robert wurde mit Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen vom 23. September 1947 mit 30. Juni 1943 für tot erklärt, Frida mit Beschluss vom 10. Jänner 1948.28
Nur eine von Fridas Töchtern überlebte:
Frida Gerngross’ Tochter aus erster Ehe, Edith, war in erster Ehe mit Erwin Lessner (1898–1959) verheiratet. Nach dem „Anschluss“ musste das Paar im Mai 1938 seine Wohnung in der Schwarzenbergstraße verlassen und lebte dann bis zur erzwungenen Ausreise im Juni 1938 in der Pension Astra in der Alserstraße.29 Edith konnte im April 1939 über Prag weiter nach Oslo flüchten, wo sie Adolf Neumann (1878–1953) kennenlernte und nach ihrer Scheidung von Erwin Lessner heiratete.
Die jüngere Tochter Marie emigrierte Anfang 1939 in das damals noch freie Prag, doch sie wurde von den Nationalsozialist*innen eingeholt, am 29. Mai 1942 nach Ravensbrück deportiert und am 25. Jänner 1943 in Auschwitz ermordet.30

 
12 Vgl. WStLA, Historische Wiener Meldeunterlagen, Meldeauskunft Frida Gerngross.
13 Vgl. WStLA, Todeserklärung von Frida Gerngross, 48 T 4103/47.
14 Vgl. Wilhelm Beck & Söhne, in: Jubiläums-Festnummer der kaiserlichen Wiener Zeitung 1703–1903. Beilage Kommerzieller Teil. Alfred von Lindheim. Druck und Verlag K. K. Hof- und Staatsdruckerei, Wien, 8.8.1903, 34.
15 Vgl. Georg Gaugusch, Wer einmal war. Das jüdische Großbürgertum Wiens 1800–1938, A–K, Wien 2011, 872.
16 Vgl. OeStA/AdR, E-uReang, FLD, Zl. 1247, Frida Gerngross.
17 Vgl. Adolph Lehmann’s allgemeiner Wohnungs-Anzeiger, 1908, Band 2, 927, https://www.digital.wienbibliothek.at/wbrobv/periodical/zoom/121540.
18 Vgl. Neues Wiener Tagblatt, 17.12.1916, http://www.digital.wienbibliothek.at/wk/periodical/pageview/720717 (18.6.2015).
19 Vgl. WStLA, Historische Wiener Meldeunterlagen, Meldeauskunft Frida und Robert Gerngross.
20 Vgl. Gaugusch, 872; WStLA, Historische Wiener Meldeunterlagen, Meldeauskunft Frida und Robert Gerngross.
21 Vgl. Wiener Salonblatt, 29.4.1922, 3.
22 Vgl. Wiener Salonblatt, 14.2.1932, 5.
23 Vgl. Wiener Salonblatt, 12.7.1925, 5, 26.6.1927, 6, 23.4.1933, 12, 23.8.1936, 7.
24 Vgl. Wiener Salonblatt, 3.1.1932, 4.
25 Die Bühne 80 (1926), 5.
26 Vgl. den Eintrag zu Frida und Robert Gerngross auf www.genteam.at: Austritte in Wien aus der IKG 1915–1945, Nr. 6920, Austrittsdatum 22.10.1924.
27 Hinweis von Peter Melichar, zit. n. Sophie Lillie, Was einmal war. Handbuch der enteigneten Kunstsammlungen Wiens, Wien 2003, 397.
28 Vgl. WStLA, Historische Wiener Meldeunterlagen, Meldeauskunft zu Frida und Robert Gerngross.
29 WStLA, Meldeauskunft zu Maria Gerngross.
30 Vgl. Datenbank des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstands, http://www.doew.at/ (15.6.2015).


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