Kunsthistorisches Museum Wien

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Hammerflügel |
Objekt von Frida Gerngross
alias Maria Gardi

Autorin:
Monika Löscher
Provenienzforschung bedeutet nicht nur die Rückgabe von Objekten, sondern auch von Familiengeschichten

Ende Jänner 2021 wurde die Provenienzforscherin des Kunsthistorischen Museums von einer Nachkommin von Frida Gerngross kontaktiert, die die Familiengeschichte ihres Vaters erforschte. Dieser war ein Neffe von Frida Gerngross – sein Vater war ein Bruder von Frida Gerngross. 1939 kam er mit einem von Sir Nicholas Winton (1909–2015) organisierten Kindertransport von Prag nach England. Über sein Schicksal und seine Familiengeschichte schwieg er zeitlebens; erst nach seinem Tod erfuhr seine Tochter von den jüdischen Wurzeln der Familie, als sie im Nachlass auf Briefe seiner Eltern stieß. Aufgrund mehrerer online publizierter Artikel konnte sie nun endlich mehr über ihre Familie erfahren – und vor allem das erste Mal die Stimmer ihrer Großtante hören, die sie nie kennenlernen durfte.
Sie schrieb dazu: „As you can imagine, it is extraordinarily moving for me to be able to hear her sing.“ 43
Mit dem Wissen um das tragische Schicksal von Frida Gerngross wirkt die Textzeile, die sie mit so viel Unbekümmertheit singt, mehr als beklemmend: Wer wird das Leben denn so tragisch nehmen …
Im Judentum gilt die Auslöschung des Namens als ärgster Fluch: Nicht gedacht soll Deiner werden. Zu oft sind wir Provenienzforscher*innen in unserer Arbeit mit dem Schicksal von Ermordeten konfrontiert: Menschen, die keine Grabstätte haben, deren sterbliche Überreste auf immer verschollen sind. Oft gibt es kein Sterbedatum, und manchmal kann nicht einmal ihr Tod selbst bezeugt werden. Menschen, die dem Vergessen preisgegeben sind.
Wenn wir die Provenienz eines Artefaktes erforschen, dann hängt daran immer auch ein Menschenschicksal. Insofern ist es auch ein Aspekt unserer Arbeit, nicht nur den Gegenständen nachzuspüren, die diesen Menschen geraubt wurden, sondern darüber hinaus an ihre Leben zu erinnern, an ihre Leiden und ihr Schicksal, aber auch an ihre Freuden und Erfolge. Und dann gelingt es manchmal – wie im Falle von Maria Gardi / Frida Gerngross –, sie dem Vergessen zu entreißen und im kollektiven Gedächtnis zu bewahren.
 
43 „E-Mail an die Verfasserin vom 28.1.2021.“


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